Tirolensien ›› TirolerInnen im Fokus ›› Josef Leitgeb (1897-1952)

Josef Leitgeb – Dichter „aus jener Sphäre einer verfeinerten erlebnis- und genussfähigen Geistigkeit“

Die Volkszeitung berichtet am 11. April 1952 vom relativ frühen Tod des international bekannten Schriftstellers Josef Leitgeb. In knappen Worten werden die wichtigsten Stationen in Leitgebs Leben und Werk zusammengefasst: „Dr. Leitgeb, ein gebürtiger Bischofshofner, ist seit 1945 Stadtschulinspektor von Innsbruck und wurde 1950 mit dem Staatspreis für Literatur ausgezeichnet. Im Februar 1952 war ihm der Ehrenring der Stadt Innsbruck verliehen worden. Leitgeb ist als Romanautor und Lyriker bekannt geworden. Zu seinen bekanntesten Werken zählen die Romane „Kinderlegende“ und „Christian und Brigitte“, sowie die Gedichtbände „Vita somnium breve“, „Musik der Landschaft“, „Läuterungen“ und das letzte Werk „Lebenszeichen“.“

Über Rezensionen in den Tiroler Zeitungen der 1920er und 1930er Jahre lässt sich nachvollziehen, wie Leitgeb als Dichter mehr und mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekam. Bemerkenswert ist dabei, dass vor allem die sozialistisch ausgerichteten Medien über Leitgebs Schaffen und seine zahlreichen Lesungen vor Publikum berichten. Die konservative Presse hält sich bei der Anerkennung des Schriftstellers als bedeutendem Lyriker und Romanautor von internationalem Rang sichtlich zurück. Umgekehrt druckt die Volkszeitung vom 11. April 1952 ein Telegramm, das der damalige Bundesminister für Unterricht an die Witwe von Josef Leitgeb schicken ließ: „Anläßlich des schweren Verlustes, den Sie erlitten haben, spreche ich Ihnen mein aufrichtigstes Beileid aus. Mit Ihnen trauern alle Freunde echter Dichtung in unserem Lande um Josef Leitgeb, dessen Lebenswerk durch seine hohen geistigen und künstlerischen Qualitäten als Vorbild weiterwirken wird.“

Ein früher Artikel in der Volks-Zeitung vom 6. März 1925 berichtet über eine Lesung Leitgebs im Rahmen einer Veranstaltung von und für die Tiroler Lehrerschaft. Die Zeilen zeigen uns einen überraschten Rezensenten, der sich solch qualitativ hochwertige Literatur nicht unbedingt erwartet hätte: „Vergangenen Samstag versammelte sich eine große Anzahl von Lehrern mit ihren Bekannten im Musikvereinsgebäude, um einen aus ihrer Mitte eigene Dichtungen vortragen zu hören. […] Den Veranstaltern des Abends gebührt der volle Dank der Versammelten, denn wohl selten dürfte den meisten der Anwesenden ein solcher Kunstgenuß vermittelt worden sein, wie an diesem Abend. Josef Leitgeb, derzeit Lehrer in Hall, noch jung an Jahren, doch von einer geistigen Reife, die erstaunlich ist, riß die Zuhörer zu einer sich immer mehr steigernden Begeisterung hin, zu einer Begeisterung, die nicht gemacht werden konnte. Seine Sprache ist voller Wucht und doch mühelos fließend, klingend und rollend und dabei von einem erstaunlichen Bilderreichtum. In manchem gemahnt er an Könner, besonders aber an einen neueren Dichter, dessen Name mir entfallen ist.“

Wie sehr sich die öffentliche Wahrnehmung des Schriftstellers mit zunehmender Bekanntheit und zahlreichen Veröffentlichungen änderte, zeigt ein Kommentar in der Neusten Zeitung vom 10. November 1936, der Leitgeb als deutlich anders als viele der selbsternannten Tiroler Heimatschriftsteller einordnet: „Wir haben in Tirol nicht allzuviele Dichter, deren Werk es bestimmt ist, sich über einen verhältnismäßig engen heimatlichen Bezirk hinaus Geltung zu verschaffen. Josef Leitgeb gehört zu ihnen. So innig seine Bindung an seine tirolische Heimat auch sein mag, er ist nicht zu den eigentlichen Heimatdichtern zu zählen. Dafür ist nicht nur seine der Mundart fernstehende, durch und durch gefeilte und musikalisch abgewogene Sprache, dafür ist vor allem die Art seiner höchstpersönlichen Einstellung zu Umwelt und Werk verantwortlich zu machen. Diese erhält ihre bestimmende Richtung nicht so sehr vom Heimatlichen her, sondern vom allgemein Kulturellen, aus jener Sphäre einer verfeinerten erlebnis- und genußfähigen Geistigkeit, die keineswegs für den eng abgeschlossenen ländlichen oder kleinstädtischen Bezirk kennzeichnend ist, wohl aber alle ernst und kulturell und künstlerisch Denkenden zu einer großen Gemeinschaft eint.“