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Paula Kravogl – „Jungmädchenjahre“ geschildert von einer Frau in ihren reifen Jahren

Ende August und Anfang September 1917 erscheint gleich in mehreren Tiroler Lokalzeitungen ein jeweils identer Bericht zum Erscheinen des Buchs „Jungmädchenjahre“ von Paula Kravogl. So haben sowohl die Außferner Zeitung, der Schwazer Berzirks-Anzeiger, die Tiroler Land-Zeitung und auch die Oberländer Wochen-Post den jeweils gleich gesetzten Artikel im Programm. Einige Monate später wird der Band im Rahmen des Verlagsprogramms der Tyrolia unter der Überschrift „Das gute Buch als Weihnachstgabe! Für Daheim! und Für die Front!“ zusammen mit anderen Titeln beworben. Im Artikel zum Erscheinen der „Jungmädchenjahre“ wird erwähnt, dass die Schriftstellerin Paula Kravogl (*1856) in der „Tiroler Frauenzeitung“ in den Jahren 1915 bis 1916 ihre Erinnerungen an die Jugend am Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlicht. Der Artikel fasst den Stil und die Inhalte dieser Reihe zusammen: „Oft voll Schelmerei und gesunden, frischen Humors, oft verträumt und versonnen in köstlicher Menschen- und Stimmungsschinderei, dann wieder klug und klar beurteilend, streift sie geistreich und warmherzig fast unzählige Einzelheiten aus dem Familien-, Schul- und Gesellschaftsleben ihrer fernen Jugendzeit, bis der Tod der liebenswürdigen Erzählerin die Feder fast plötzlich aus der Hand nahm.“

Im posthum veröffentlichten Werk findet sich dann eine mehrseitige Ausführung über Kravogls Leben verfasst von Maria Paula Waldhart (1884-1935), die ebenfalls als Schriftstellerin in Tirol des frühen 20. Jahrhunderts tätig war. Eingehend und in sehr üppiger Sprache, die auf eine hohe Identifikation Waldharts mit der um knapp 30 Jahre älteren Kollegin schließen lässt, werden die Stationen in Paula Kravogls Leben – geboren 1856 in Mals in Südtirol – geschildert. In der Logik eines katholisch-frommen Lebenswegs wird der Werdegang der jungen Paula mit dem Wunsch nach Eigenständigkeit und – nach Abschluss der Lehrerbildungsanstalt in Innsbruck – dem Ausüben des Lehrberufs im Gegensatz zur Durchsetzungskraft der verwitweten Mutter, die Paula für den Haushalt ausbilden lässt und bis an ihr Lebensende an sich bindet, geschildert. Nur ein weiterer Versuch aus dieser „Pflicht“ auszubrechen wird noch unternommen: Ein angesehener Mann interessiert sich für die junge und zu voller Schönheit erblühten Paula Kravogl und sie erwidert die Zuneigung. Eine Ehe kommt jedoch nicht zustande, weil die Familie des potentiellen Bräutigams die Verbindung nicht unterstützt.

So ist es als Leserin in den frühen 2020er schwer zu akzeptieren, wie die Schriftsteller-Kollegin Waldhart immer wieder auf das gelungene Leben von Paula Kravogl hinweist. In der Reduktion auf den häuslichen Bereich und in der Fürsorge für die Mutter und andere Verwandte, die Paula versorgt und – um diese bemüht – auch nach Mals zurückkehrt, sieht die Rezensentin ein Beispiel für das Gelungene im Erfüllen einer christlichen Vorsehung. Waldhart erhebt diesen Weg als einen positiv-gestaltenden und beschreibt Paula Kravogl dabei nicht passiv leidend, sondern als aktiv und frohgemut: „Paula fand sich eben stets mit ihrem Schicksal zurecht. „Wer immer an dem etwas zu nörgeln hat, was die Vorsehung ihm vorsetzt, der steht schließlich hungrig vom Tisch des Lebens auf", heißt es in einem ihrer Briefe. Ging es ihr aber einmal besonders gut, dann wußte sie ihre Freude dadurch zu mäßigen, daß sie gleichsam als Warnung zu sagen pflegte: „In jedem Wohl ist ein W" (Weh).“

Allein wenn es um die Beschreibung der Kriegsjahre und um den Verrat der italienischen Seite an der k. u. k. Monarchie geht, wird Waldhart in ihrem Urteil schärfer: „Auch das größte Weh — das Völkerweh des Krieges — sollte Paula vor ihrem Ewigkeitstage noch sehen. Sturmschwalben waren längst über Tirol geflogen. Stand Mals auch anfangs nicht im eigentlichen Kriegsgebiet, so machten sich doch bald die wirtschaftlichen Wirkungen des entsetzlichen Ringens bemerkbar und Sorge, Kummer und Trauer pochten oft genug an stille Türen, hinter denen bisher der Friede gewohnt hatte. Aber der Kriegslärm rückte mit Italiens Treubruch auch in Paulas unmittelbare Nähe. Der Gedanke an die Möglichkeit einer Loslösung tirolischer Landesteile hatte ihr treues, hoch-patriotisch fühlendes Herz bis in die innersten Tiefen erregt — nun sah sie mutig dem Kommenden entgegen. Was sie in den letzten Monaten unter dem Kriege auch persönlich litt — sie blieb die alte Heldenseele, nur konnte ihr ehrlicher Sinn es schwer vertragen, daß Eigennutz und Ausbeutungssucht in dieser großen Zeit sich breit machten, wo nur Opfergeist und Gemeinsinn sich betätigen sollten. Sie selbst — freilich, sie half, wo und wie sie nur konnte mit ihrer Frauenkraft, mit ihren fleißigen Händen. Unermüdlich klirrten ihre Stricknadeln im Dienste der Soldaten, unermüdlich war sie in der Ausfertigung von Feldpostsendungen, in der Fürsorge für alle draußen und daheim.“

In den letzten Absätzen ihrer Ausführungen zu Paula Kravogls Leben konzentriert sich Maria Paula Waldhart noch einmal auf das Wesen der Schriftstellerin und deren beachtenswerte Gabe, Zufriedenheit in einem doch recht entbehrungsreichen Frauenleben zu finden. Waldhart hat dafür eine Erklärung: „Ein feiner Seelenkenner hat einst das Wort von der „Jungfräulichkeit des Leidens" geprägt. Paula hat diese stille Tugend wohl gekannt. Wie viel seelisches Leid sie lebenslang froh-verschwiegen überwand, weiß Gott allein.“ Und auch die abschließenden Worte der Freundin Waldhart lassen darauf schließen, dass bei aller Idealisierung dieses patriotisch-frommen Lebens doch auch Wünsche und Bedürfnisse unerfüllt blieben: „Kindliche Gottestreue war die Grundnote ihres täglichen Strebens gewesen, — sie blieb es bis zum letzten Atemzuge. Ihr Weg von der Kindheit bis zum Sterbebett ging aufwärts, dem Lichte zu; darum ruht Licht auch über der Erinnerung an diese edle, kraft- und gemütvolle Alttirolerin.“