Diese Dissertation beschäftigt sich mit dem objekthaften Ornament in der Architektur und untersucht dessen historiografische und kontemporäre gestaltungspraktische Konstitution. Die Arbeit ist daher sowohl theoretisch als auch angewandt.
Die Historiografie des Ornaments beginnt mit VITRUV sehr allgemein, seine Beschreibung des Ornaments legt aber auch den Grundstein der intellektuellen Aufladung. Mit der Wiederentdeckung seines Werkes ab dem 15. Jh. beginnen terminologische Verflechtungen, aber auch die intensive theoretische Auseinandersetzung. Mitte des 18. Jh. erschüttert WINCKELMANN die Kunst, welches sich in der Konsequenz nachhaltig auf das Ornament auswirkte und mit MORITZ sein erstes Manifest erhält. Das 19. Jh. stellt das Ornament ins Zentrum der Diskussion und durch JONES, SEMPER, RIEGL, RUSKIN u.v.m. wird es zunehmend synonym für die Architektur selbst. Es ist nicht nur die Phase höchster Affirmation, sondern läutet auch den Beginn der Problematisierung ein, die unter LOOS und LE CORBUSIER die bis heute wirkende Pejoration des Ornaments zumindest prädikativ konnotiert. Auch wenn die Moderne das Ornament nicht abschafft, interessiert sich die Theorie und Praxis höchstens peripher für das Ornament. Spätestens mit dem Einzug digitaler Werkzeuge und Fertigungsstrategien zeigte sich das Ornament wieder offensichtlicher, aber vor allem in einem neuen Typus. Seit den 2000er Jahren haben Ornamenttheoretiker den Diskurs neu entfacht, mit Inhalt versehen und Potenziale freigelegt. Sie brachten jedoch auch Forderungen für die Zukunft in Stellung. Die Ornamenttheorie diskutiert umfangreich das historische Ornament bis tief in das 20. Jh. hinein, knüpft an die Pluridisziplinarität an – besonders in der Philosophie – und erkennt die Potenziale nach der digitalen Wende. Die Theorie findet mit CACHE, LYNN, BLOOMER, GLEITER, PICON und SPUYBROEK neue Ansätze, um diese Entwicklungen zu beschreiben und im Zeitgeist zu kontextualisieren. Das Ornament als Objekt wird in der Architekturpraxis wieder ohne Ressentiments eingesetzt. Namhafte Architekturbüros wie HERZOG & DE MEURON oder JEAN NOUVEL setzen das Ornament ein und bilden damit keine Ausnahme in der Disziplin, sondern sind repräsentativ.
Das Ornament ist ein pluridisziplinäres, kulturelles Objekt, unter anderem zugehörig der Philosophie, der Philologie, der Musik, der Kunst und der Architektur. Auch wenn dem Ornament fast in der gesamten Architekturgeschichte eine wesentliche Rolle zukommt, fällt es der Architektur in der Gegenwart schwer, es postpejorativ, also außerhalb der polemischen Theorie des frühen 20. Jh. zu beschreiben. Es fehlt an einer normativen Verknüpfung der historischen Charakteristika des Ornaments, seiner Konstitution und der morphogenetischen Logizität sowie der veränderten Arbeitswelt seit der digitalen Wende. Eine intensive, oszillierende Entwicklungsgeschichte birgt Widersprüche, Negationen sowie Stellvertreterdogmen in sich. Die Arbeit identifiziert in dieser Gemengelage die resistenten Merkmale zur Konstitution des Ornaments. Die historiografische Herleitung der Konstitution trifft Zuordnungen Bezug nehmend auf den Modus Operandi der Architektenschaft und die Morphologie der digitalen postdigitalen Ära. An der hergeleiteten Konstitution können die rezenten Phänomene untersucht werden, ob nun vermeintliches oder tatsächliches Ornament. Der resultierende Operator kann gegenwärtige ornamentale Gestaltungen auf ihre Zugehörigkeit zum Ornament diskutieren und systematisieren. Für das Ornament antinomisch wirkende Genres wie die performante Architektur oder nichtphysische Realitäten (VR, AR) sind als Ornament zwar bereits erkannt, können jedoch mit Rücksicht auf dessen Konstitution vertieft diskutiert werden.
Es wird dadurch möglich, das Ornament in der Gegenwart und in potenziellen, aber nicht a priori ornamentalen Genres in der Architektur aufzuspüren. Nicht zuletzt kann aufgezeigt werden, dass die neuen Genres in der Architektur zwar nicht die native Konstitution des Ornaments infrage stellen, aber dessen polemische Konnotationen in die Historizität verweisen. Womit ein Weg für eine unbelastete Weiterentwicklung des Ornaments in der Architektur geöffnet wird.