Hintergrund: Die Zuordnung in das System der Zweigeschlechtlichkeit hat in der Gesellschaft ausschlaggebende Auswirkungen auf Erleben, Verhalten, soziale Verhältnisse sowie gesellschaftliche Chancen. Aufgrund der Ungleichheiten der Geschlechter wurde 2008 die Verpflichtung zum Gender Mainstreaming in der EU verabschiedet. Damit stand auch die Schule und insbesondere der Sportunterricht vor der Aufgabe der Geschlechtergleichstellung. Entscheidende Rollen spielen dabei die Geschlechtersozialisation der Schüler*innen und Sportlehrkräfte sowie die Geschlechterstereotypisierung im Sportunterricht.
Zielsetzung: Ziel dieser Arbeit ist es, die Geschlechtersozialisation der Schüler*innen und Sportlehrkräfte des monoedukativen und koedukativen Sportunterrichts in Österreich und Deutschland zu analysieren und zu vergleichen. Zusätzlich war von Interesse, inwiefern Geschlechterstereotypisierung von und durch Schüler*innen und Lehrer*innen Eingang in den Sportunterricht finden.
Methodik: Anhand von leitfadengestützten Interviews wurden 64 Schüler*innen mit einem Durchschnittsalter von 13,8 ± 2,1 Jahren und 12 Sportlehrkräfte (Ø-Alter 37,9 ± 9,9 Jahren) an drei Schulen zur Geschlechtersozialisation, Geschlechterstereotypisierung und dem geschlechtersensiblen Unterrichten im monoedukativen und koedukativen Sportunterricht befragt. Die Interviews wurden angelehnt an die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Zur Berechnung der Signifikanz wurden der Chi²-Test und der Mann- Whitney-U- Test verwendet.
Ergebnisse: Es konnte ein signifikanter Unterschied in den Verhaltensweisen sowie den Sportartenpräferenzen der Mädchen und Jungen festgestellt werden. Zudem unterscheiden sich die favorisierten Sportarten der Mädchen. Es ließ sich ein signifikanter Unterschied zwischen den als männlich oder weiblich bewerteten Sportarten feststellen. Bewegungsformen wie Tanzen, Turnen und Gymnastik werden als feminin und Fußball als maskulin bewertet. Es konnte ermittelt werden, dass Jungen eher Schwierigkeiten im Umgang mit geschlechterstereotypisierten Sportarten haben. Die Unterrichtsinhalte scheinen im monoedukativen Sportunterricht geschlechtsspezifischer ausgerichtet zu werden als im koedukativen Sportunterricht. Geschlechterstereotype werden im Sportunterricht häufig aufgrund geschlechtsspezifischer Annahmen der Sportlehrkräfte (re-)produziert. Ein Großteil der Sportlehrer*innen gibt an, keine Erfahrungen in den Methoden zum geschlechtersensiblen Unterrichten zu haben.
Diskussion: Sozialisationsinstanzen wie Freunde, Familie und die Schule beeinflussen die Geschlechtersozialisation der Schüler*innen. Im Sportunterricht werden geschlechtsspezifische Verhaltensweisen, Annahmen und Interessen deutlich. Eine wichtige Rolle nehmen daher die Sportlehrkräfte des monoedukativen sowie koedukativen Sportunterrichts ein, die durch ihre Unterrichtsgestaltung zur Geschlechtergleichstellung beitragen können. Ohne Reflektion der Einstellungen, Annahmen und Neigungen der Sportlehrkräfte in Bezug auf das Geschlecht können Geschlechterstereotype jedoch Eingang in den Sportunterricht finden. Dem entgegenwirkend sollten universitäre Ausbildungen die Genderkompetenzen angehender Lehrkräfte fördern und das geschlechtersensible Unterrichten nahelegen, um Geschlechterstereotype aufzuweichen, Geschlechterhierarchien abzubauen und die Schüler*innen in ihrer individuellen Geschlechtsidentitätsentwicklung zu unterstützen.