In Märchen und Mythen wird die Fähigkeit, fehlende Körperteile oder Organe nachwachsen zu lassen, immer mit Magie in Verbindung gebracht. Die faszinierende Fähigkeit der Regeneration ist jedoch sehr real und wurde bereits bei einer Vielzahl von Tierarten beobachtet. Einige Vertreter der Plattwürmer, genauer gesagt die Ordnung der Tricladida, sind sogar in der Lage, nachdem sie in mehrere Teile zerlegt wurden, aus jedem einzelnen Teil ein neues, intaktes Individuum zu bilden. Neben den Tricladen gibt es noch viele weitere Plattwurmordnungen und -arten. Die Frage, ob dieses außergewöhnliche Regenerationsvermögen jeder Plattwurmart gegeben ist, führte zu Regenerationstudien an weiteren Ordnungen. Leider bleiben immer noch zu viele Ordnungen unerforscht, um diese Frage vollends zu beantworten, jedoch deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Tricladen eine Ausnahme bilden. Nun beschäftigte natürlich auch die Frage, wie der Regenerationsprozess vonstatten geht, viele Wissenschaftler. Es wurde beobachtet, dass sich nach einer Amputation ein Blastema an der Wundstelle bildet und während bei den meisten untersuchten Plattwürmern die Stammzellen im Blastema proliferieren, findet bei Tricladen die Proliferation außerhalb des Blastemas statt. Somit bilden auch hier die Tricladen wieder eine Ausnahme. Um der Antwort auf die Frage, ob ein vollständiges Regenerationsvermögen sowie ein Blastema frei von proliferierenden Stammzellen ein ancestrales Merkmal der Plattwürmer sind oder den Tricladen eigen, ein Stück näher zu kommen, werden in er vorliegenden Arbeit eine nah mit den Tricladen verwandte Ordnung, die Prolecithophora, sowie eine weitenfernte Ordnung, die Polycladida untersucht. Da es keine Labortiere von Prolecithophora und Polycladida gibt, mussten die Tiere erst im Freiland gesammelt werden. Dadurch fehlen auch generelle Kenntnisse, wie die Anordnung der Muskelfasern und des Nervensystems, zu diesen Tieren, die also an intakten Tieren analysiert werden mussten, bevor Regenerationsversuche durchgeführt werden konnten. Dies bot die Gelegenheit, eine für Prolecithophoren typische Anordnung der Körperwandmuskulatur und des serotonergen Nervensystems zu definieren. Im Allgemeinen besteht die Körperwandmuskulatur der Prolecithophoren aus Längs-, Zirkulär- und Diagonalmuskelfasern, so wie sie bei den 10 meisten Rhabdithophoren vorgefunden wird. Sie weisen jedoch zwei besondere Arten von Diagonalmuskelfasern auf, die bisher in dieser Form bei keiner anderen Art beschrieben wurden. Das Orthogon der Prolecithophoren besteht aus drei Längsnervensträngenpaare (Ventral, Dorsal und Lateral). Eine markante, durchgehende Kommissur in der hinteren Körperhälfte verbindet diese drei Längsnervensträngenpaare. Im Vergleich zum Nervensystem ihrer nächsten Verwandten, der Fecampiida und Tricladida, ist das Nervensytem der Prolecithophoren dem der Fecampiiden sehr viel ähnlicher als dem der Tricladen. Zwei Polycladenarten, Theama mediterranea und Prosthiosthomum siphunculus, wurden auf ihre Regenerationsfähigkeit und -dynamik sowie die räumliche Verteilung der Neoblasten während der Regeneration untersucht. Der Vergleich unserer eigenen Ergebnisse mit der Literatur führte zu einer Revision der "Polykladen-Regel für Regeneration". Polycladida können in vier verschiedene Kategorien der Regenerationsfähigkeit eingeteilt werden. Die erste Gruppe umfasst die Arten, die nur in der Lage sind, winzige Teile von peripheren Körperteilen zu regenerieren. Die Arten der zweiten Gruppe können alle hinteren Körperteile regenerieren, wenn sie zwischen Gehirn und Pharynx amputiert werden. Die dritte und die vierte Gruppe unterscheiden sich nur gering: Während die Arten der dritten Gruppe alle Organe außer dem Gehirn regenerieren können, auch wenn dieses fehlt, sind die Arten der vierten Gruppe zusätzlich in der Lage, die vordere Hälfte des Gehirns zu regenerieren. Mit Prosthiostomum siphunculus und Theama mediterranea haben wir Vertreter zweier unterschiedlicher Gruppen, da Prosthiostomum siphunculus Die Kriterien für Gruppe III und Theama mediterranea für Gruppe IV erfüllt. Färbungen von S-Phasen-Zellen zeigten, dass sowohl Prosthiostomum siphunculus als auch Theama mediterranea eine starke Proliferation innerhalb des Regenerationsblastemas aufzeigen. Die Regenerationsfähigkeit der Prolecithophoren variiert von Familie zu Familie. Arten der Pseudostomiden und Protomonotresiden sind nur in der Lage, Teile der hinteren Körperhälfte zu regenerieren. Wenn ein Teil des Pharynx noch vorhanden ist, sind einige Pseudostomiden sogar in der Lage, den Pharynx wiederherzustellen. Plagiostomidenarten können hintere Körperteile regenerieren, und während einige Arten einen intakten Pharynx dazu benötigen, ist dies bei anderen Arten nicht erforderlich. Sie können auch einen Kopf mit Gehirn und Augen regenerieren, 11 allerdings nur, wenn der Pharynx intakt ist und ein Teil der Hirnwurzeln noch vorhanden sind. Obwohl die Tricladen die nächsten Verwandten der Prolecithophora sind, können wir feststellen, dass ihre Regenerationsfähigkeiten nicht vergleichbar sind. Da sowohl die untersuchten Prolecithophoren als auch die Polykladen größere Ähnlichkeiten mit Makrostomiden, Proseriaten und Rhabdocoelen aufweisen, deutet dies darauf hin, dass die Trikladen ihre außergewöhnliche Regenerationsfähigkeit unabhängig voneinander entwickelt haben. Die Tatsache, dass Polycladen, wie die meisten Plattwürmer, eine Proliferation innerhalb des Blastemas aufweisen, unterstützt die Hypothese, dass ein proliferationsfreies Blastem eine Apomorphie der Tricladida ist.
Titelaufnahme
- TitelComparative studies in non-model organisms / morphology and regeneration in polyclad and prolecithophoran flatworms submitted by Alexandra Grosbusch
- verfasst von
- begutachtet von
- betreut von
- Erschienen
- Umfang180 Seiten : Illustrationen, Diagramme
- AnmerkungZusammenfassung in deutscher SpracheKumulative Dissertation aus fünf Artikeln
- Datum der AbgabeOktober 2022
- SpracheEnglisch
- DokumenttypDissertation
- Schlagwörter (DE)Regeneration / Plattwürmer / Muskulature / Phalloidin / Nerven / Serotonin / Stammzellen / Evolution
- Schlagwörter (EN)
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In fairy tales and myths, the ability to regrow missing body parts or organs is always associated with magic. However, the fascinating ability of regeneration is very real and has been observed and described in a variety of species across the animal kingdom. In flatworms, one taxa stands out: Tricladida, who are able to form a new intact individual from each piece after being dissected into several parts. Besides Tricladida, there are many other flatworm taxa and species. The question of whether the extraordinary regeneration capacity can be found in every flatworm species led to regeneration studies on other taxa. Unfortunately, data on regeneration capacity remain scarce in several flatworm taxa, but preliminary results hint towards the conclusion that triclads might form an exception. The question of how the regeneration process takes place has occupied many scientists. It was observed that after an amputation, an unpigmented tissue quickly forms at the wound site, the so-called “blastema”. In all studied non-triclad flatworms so far, stem cells (= the only proliferating cells in flatworms, also known as “neoblasts”) proliferate within the blastema. In contrast to this, in triclads the proliferation of the neoblasts takes place outside the blastema. Once more, triclads build the exception. In order to get closer to the answer to the question of whether a complete regeneration capacity and a proliferation-free blastema are an ancestral trait of flatworms or peculiar to triclads, the present thesis examines a taxon closely related to triclads, the Prolecithophora, as well as a more distant taxon, the Polycladida. There are no laboratory model organisms of Prolecithophora and Polycladida available. As a result, there is a lack of general knowledge about some of these species, such as the general pattern of musculature and nervous system. For this reason, all specimens of this work had to be collected from the field. Additionally, in prolecithophorans, the pattern of musculature and nervous system had to be analysed and described on intact animals before regeneration experiments could be done. This provided the opportunity to define a typical prolecithophoran pattern of the body wall musculature and the serotonergic nervous system. In general, the prolecithophoran body wall musculature consists of longitudinal, circular and diagonal 7 muscle fibres, like most rhabditophorans. However, they show two peculiar types of diagonal muscles which have not been described in any other species. As for the nervous system, the general prolecithophoran orthogon is built of three pairs of longitudinal nerve cords (ventral, dorsal and lateral). A prominent continuous commissure in the posterior body half connects the three pairs of longitudinal nerve cords. When compared to the pattern of the nervous system of their closest relatives, Fecampiida and Tricladida, the pattern of the prolecithophoran nervous system was much more similar to that of fecampiids than that of triclads. Regeneration capacity and dynamics as well as spatial distribution of neoblasts during regeneration of two polyclad species, Theama mediterranea and Prosthiostomum siphunculus, has been investigated. Comparison of our own results and literature lead to a revision of the “polyclad rule for regeneration”. Polycladida can be divided into four different categories of regeneration capacity. The first group includes those species that are unable to regenerate more than minute pieces of peripheral body parts. Species assigned to the second group can regenerate all posterior body parts if amputated between brain and pharynx. The third and the fourth group are only slightly different. While species of the third group can regenerate all organs except the brain, even in absence of the brain, species belonging to the fourth group are additionally able to regenerate the anterior half of the brain. With P. siphunculus and T. mediterranea we have added representatives in two different groups since P. siphunculus fulfils the criteria for group III and T. mediterranea for group IV. Stainings of S-phase cells showed that ample proliferation could be observed within the regeneration blastema in both P. siphunculus and T. mediterranea. Regeneration capacity in prolecithophorans varies among families. Pseudostomid and protomonotresid species are only able to regenerate parts of the posterior body half. If a part of the pharynx is still present, some pseudostomids are even able to restore the pharynx. Plagiostomid species can generally rebuild posterior body parts and while some species need an intact pharynx to do so, others do not. They can also regenerate a head with brain and eyes, but only if the pharynx is intact and a part of the brain roots is left. 8 Although triclads are close relatives of the prolecithophorans, we are now able to conclude that their regeneration capacities are not comparable. As the studied prolecithophorans as well as the polyclads show closer similarities to macrostomids, proseriates and rhabdocoels, this implies that triclads independently evolved their extraordinary regeneration capacity within the flatworm phylum. Additionally, the fact that all studied flatworms except triclads show proliferation within the blastema, supports the hypothesis that a proliferation-free blastema is an apomorphy of Tricladida.