COVID-19: Strategien der Schulentwicklung in der Krise. Ergebnisse einer Schulleitungsbefragung in Österreich
Im Kontext der COVID-19-Pandemie wurde in Österreich ab dem 16. März 2020 der Präsenzunterricht an allen Schulformen eingestellt. Das schulische Angebot sollte durch Distanzunterricht fortgeführt werden. In der Folge waren Schulen und Schulverwaltung mit der Aufgabe konfrontiert, Strategien für den Umgang mit dem Distanzunterricht zu entwickeln.
Das Gesamtprojekt: Krisenkulturen im Bildungssystem
Im Projekt „COVID-19 - Herausforderungen und Chancen für die Schulentwicklung“ sollen diese Strategien analysiert werden. Dazu werden eine quantitative Online-Befragung von Schulleitungen, eine Dokumentenanalyse der behördlichen Informationen an Schulen sowie Interviews mit Schulleitungen, Mitgliedern der Schulverwaltung und anderen relevanten Akteuren durchgeführt.
Die Schulleitungsbefragung: Einzelschulische Ziele und Strategien im Distanzunterricht
Der vorliegende Bericht dokumentiert die Ergebnisse der Schulleitungsbefragung, in der die einzelschulischen Ziele und Strategien sowie die Wahrnehmung des Distanzunterrichts in der eigenen Schule im Vordergrund standen. An der Online-Befragung, die im Juni und Juli 2020 durchgeführt wurde, haben sich 532 Schulleitungen von allgemeinbildenden und berufsbildenden öffentlichen Schulen aus allen österreichischen Bundesländern beteiligt. Etwa die Hälfte der teilnehmenden Schulleitungen waren an einer Volksschule tätig, ein weiteres knappes Drittel an einer Neuen Mittelschule. Die übrige Stichprobe verteilt sich auf die weiteren Schulformen. Zwei Drittel der Schulleitungen leitete eine Schule im nicht-städtischen Raum (Gemeinden mit maximal 10.000 Einwohner*innen).
Strategisches Vorgehen, aber kaum Nutzung systematischer Informationsquellen
Die Befunde verweisen darauf, dass das Ziel, schulische Standards auch im Distanzunterricht aufrechtzuerhalten, unter den Schulleitungen stark ausgeprägt war. Eine Reduktion der Anforderungen als Reaktion auf die komplexeren Bedingungen wurde von der Mehrheit der Schulleitungen abgelehnt. Strategien für den Distanzunterricht wurden in der Mehrheit der Schulen schul- oder zumindest fach- bzw. jahrgangsweit abgestimmt. Kooperationsstrukturen im Kollegium konnten in einem Großteil der Schulen im Distanzunterricht aufrechterhalten werden. Die Vorbereitung der Lehrkräfte auf die Herausforderungen des Distanzunterrichts erfolgte vor allem über die Ausgabe von Informationsmaterialien sowie individuell durch die Lehrkräfte selbst. Nur an einem kleinen Teil der Schulen und mit Blick auf spezifische Bereiche gab es schulweite Fortbildungsangebote. Um sich über das Vorgehen im Distanzunterricht und dessen Wirkungen zu informieren, nutzten die Schulleitungen vor allem individuelle Kommunikationswege mit Lehrkräften und Eltern. Systematischere Formen der Informationsbeschaffung (z. B. über Online-Befragungen) wurden nur an wenigen Schulen verfolgt. Nur ein geringer Anteil der Schulleitungen gab darüber hinaus an, für den Distanzunterricht zusätzliche Ressourcen von Schulaufsicht oder Schulerhalter bekommen zu haben; hierbei handelte es sich vorwiegend um technische Ausstattung mit digitalen Endgeräten und Lernsoftware.
Wahrnehmung des Distanzunterrichts überwiegend positiv
Die teilnehmenden Schulleitungen nahmen die Thematisierung des Distanzunterrichts durch ihre Lehrkräfte eher als positiv wahr. Vor allem inhaltliche und methodische Themen sowie die Interaktion mit Schüler*innen und Eltern im Distanzunterricht wurden aus der Sicht der Schulleitungen in der Mehrheit der Schulen von den Lehrkräften eher positiv thematisiert. Lediglich die technische Ausstattung von Lehrkräften und Schüler*innen wurde durch die Lehrkräfte tendenziell negativer adressiert. Auch die Schulleitungen selbst berichteten vor allem infrastrukturelle Herausforderungen des Distanzunterrichts; pädagogisch-didaktische Fragen sowie Kompetenzen und Einstellungen von Lehrkräften und Schüler*innen mit Blick auf das Lehren und Lernen mit digitalen Medien wurden als weniger herausfordernd wahrgenommen. Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern und Erziehungsberechtigten wurde im Schnitt positiv bewertet.
Schulleitungen gingen je nach Schulform unterschiedlich mit dem Distanzunterricht um
Strategien im Umgang mit dem Distanzunterricht wurden an Neuen Mittelschulen deutlich häufiger schul-, fach- oder jahrgangsweit abgestimmt, als an den anderen Schulformen. Volksschulleitungen nutzten signifikant seltener systematische Vorgehensweisen zur Informationsbeschaffung und arbeiteten auch seltener mit Sozialpädagog*innen zusammen, als Schulleitungen der anderen Schulformen. Die Größe der Schulen hatte hierauf keinen Einfluss; auch zwischen Klein- bzw. Kleinstschulen und dem Rest der Stichprobe ergaben sich mit Blick auf die Strategien im Umgang mit dem Distanzunterricht nur vereinzelte Unterschiede. Darüber hinaus war die Wahrnehmung des Distanzunterrichts durch die Volksschulleitungen weniger positiv als durch die Leitungen anderer Schulformen: Sie schätzten die Thematisierung von Unterrichtsfragen durch ihre Lehrkräfte signifikant weniger positiv ein und sahen auch signifikant höhere Herausforderungen beim Lehren und Lernen mit digitalen Medien. Lediglich die Zusammenarbeit mit den Eltern wurde tendenziell günstiger eingeschätzt, als an den anderen Schulformen.
Schulleitungen an sozialräumlich benachteiligten Standorten schätzten Distanzunterricht weniger positiv ein
Schulleitungen an sozialräumlich benachteiligten Standorten verfolgten zwar ebenfalls das Ziel, schulische Standards zu sichern; sie gaben aber auch in deutlich höherem Maße an, Anforderungen mit Blick auf die Situation ihrer Schüler*innen abgesenkt zu haben. Sie berichteten zudem seltener schul-, fach- oder jahrgangsweite Strategien im Kontakt mit Eltern und Erziehungsberechtigten und nutzten seltener deren Feedback, um sich über Maßnahmen und Wirkungen im Distanzunterricht zu informieren. Darüber hinaus schätzten sie die Thematisierung unterrichtsbezogener Aspekte durch ihre Lehrkräfte weniger wohlwollend ein und hatten auch eine etwas weniger positive Sicht auf die Zusammenarbeit mit den Eltern und Erziehungsberechtigten. Weitere Analysen zeigen, dass sowohl der Fokus auf das Absenken von Anforderungen, als auch die negativere Wahrnehmung des Distanzunterrichts mit geringeren Erwartungen an die (schulische) Leistungsfähigkeit ihrer Schüler*innen korrelierten.