Relativer Alterseffekt (RAE) besteht in der Überrepräsentation von früh im Selektionsjahr geborenen AthletInnen. Das Vorhandensein eines RAE deutet darauf hin, dass ein großer Verlust von Talenten gegeben ist. Dieser Effekt besteht vor allem in Sportarten mit hohen Kraftanforderungen und in sehr beliebten und häufig frequentierten Sportarten. Ein RAE konnte auch im Elitebereich des Alpinen Skirennlaufs, dem FIS Weltcup und den FIS Juniorenweltmeisterschaften (16 bis 20 Jahre), nachgewiesen werden. Ob der RAE bereits auch im Nachwuchsbereich auf nationaler Ebene vorhanden ist, war noch unbekannt. Um den RAE minimieren zu können, ist es notwendig, das gesamte Ausmaß und die Einflussmechanismen des RAE im Skirennlauf zu untersuchen. Aufbauend darauf waren die Ziele der vorliegenden Dissertation, Folgendes zu untersuchen: erstens, sollte das Vorhandensein und das Ausmaß des RAE in den weiteren Klassen des internationalen und nationalen Nachwuchsskirennlaufs untersucht werden; zweitens, sollte der Einfluss des relativen Alters auf die Rennleistung erhoben werden; und drittens, sollten die Einflussmechanismen auf den RAE im Skirennlauf erläutert werden.
Die Ergebnisse der vorliegenden Dissertation zeigten, dass der RAE in allen Alterskategorien des nationalen und internationalen Alpinen Skirennlaufs ein Problem darstellt. Neben dem Vorhandensein des RAE auf dem Elitelevel im Weltcup und bei den Juniorenweltmeisterschaften wurde dieser auch in der nächsten Kategorie des internationalen Nachwuchsskirennlaufs bei den 1. Olympischen Jugend Winterspielen (YOG) in Innsbruck (2012) mit 15- bis 16-jährigen AthletInnen nachgewiesen. Im nationalen Nachwuchsbereich wurde das Vorhandensein des Effekts bei TeilnehmerInnen der Aufnahmeprüfungen von Schulen mit skisportlichem Schwerpunkt (9- bis 10- und 14- bis 15-Jährige) untersucht. Zusätzlich wurde ein hochsignifikanter RAE bei SchülerInnen von mehreren österreichischen Skischwerpunktschulen (10 bis 13 Jahre) erhoben. Die Selektion bei den Aufnahmeprüfungen verstärkt den RAE nicht noch mehr, da von allen TeilnehmerInnen nicht erneut wieder die relativ Älteren bevorzugt ausgewählt wurden. Diese Kenntnisse deuten darauf hin, dass die bevorzugte Selektion von relativ älteren SkirennläuferInnen und somit der Selektionsfehler, der zum Entstehen des RAE führt, bereits stattfindet, bevor die NachwuchsathletInnen Skischwerpunktschulen besuchen. Folglich scheint der Selektionsfehler auf das Wettkampfklassensystem im Skirennlauf zurückzuführen sein. Aufgrund dessen wurde der RAE in weiterer Folge auch in den jüngsten Wettkampfklassen des nationalen Nachwuchsskirennlaufs im Kids Cup (7- bis 11-Jährige) und im Teenager Cup (12- bis 15-Jährige) untersucht. Bereits in diesen jüngsten Klassen des Nachwuchsskirennlaufs war ein RAE vorhanden. Zusätzlich wurde aufgezeigt, dass ein höheres Wettkampfniveau (nationale vs. regionale Rennen) mit einem stärkeren RAE verbunden ist, da der RAE zusätzlich deutlich stärker vorhanden war bei jenen AthletInnen, die für die nationalen Finalrennen des Kids Cups selektiert wurden. Verglichen zur jüngsten Klasse (Kids Cup) wurden nicht erneut bevorzugt relativ ältere SkirennläuferInnen für die nächste Klasse (Teenager Cup) ausgewählt, da der Prozentsatz von relativ älteren AthletInnen vom ersten zum zweiten Level nicht noch weiter gestiegen ist. Dies deutet darauf hin, dass der Selektionsfehler im Talententwicklungssystem im Alpinen Skirennlauf bereits während oder vor der jüngsten Wettkampfklasse auf nationalem Level entsteht. Da das Talent in einem Sport sicherlich nicht vom Geburtsmonat abhängt, kann angenommen werden, dass als Folge des bestehenden RAE in allen Alterskategorien des Alpinen Skirennlaufs ein großer Verlust von Talenten gegeben ist.
Die Ergebnisse der vorliegenden Dissertation zeigten auf, dass das relative Alter einen signifikanten Einfluss auf die Rennleistung im Alpinen Skirennlauf hat. In etwa 30% der MedaillengewinnerInnen bei der YOG 2012 in verschiedenen Wintersportdisziplinen waren in den ersten drei von 24 möglichen Monaten geboren (2 Geburtsjahrgänge startberechtigt). In den Ski Alpin Rennen bei der YOG wurden 13 der 19 Medaillen von AthletInnen gewonnen, die in den ersten zwei Relativen Altersquartalen geboren waren. Außerdem wurden alle Goldmedaillen von SkirennläuferInnen gewonnen, die in den ersten drei von acht möglichen Quartalen geboren waren. Zusätzlich konnte aufgezeigt werden, dass ca. 35% der TeilnehmerInnen im Kids Cup, welche sich in den Top 3 platzieren konnten, im ersten Quartal geboren waren.
Um den RAE im Alpinen Skirennlauf minimieren zu können, sollten Strategien im Talententwicklungssystem geändert werden. Bevor diese Strategien jedoch geändert werden können, müssen die Einflussmechanismen auf den RAE erhoben werden. In diesem Zusammenhang wurden das sportmotorische Leistungsniveau, anthropometrische Charakteristika und der biologische Entwicklungsstand als mögliche kausale Mechanismen des Vorhandenseins des RAE im Skirennlauf untersucht. Der Einfluss der sportmotorischen Leistungsfähigkeit wurde bei TeilnehmerInnen von Aufnahmeprüfungen von Schulen mit skisportlichem Schwerpunkt (9- bis 10- und 14- bis 15-Jährige) und SchülerInnen von Skischwerpunktschulen (10- bis 13-Jährige) erhoben. Es konnte aufgezeigt werden, dass keine signifikanten Unterschiede in den einzelnen sportmotorischen Tests bestanden zwischen den in den einzelnen Quartalen geborenen AthletInnen. Daher kann angenommen werden, dass lediglich gut trainierte und körperlich homogene NachwuchsskirennläuferInnen im Talentfördersystem selektiert werden. Folglich kann gesagt werden, dass das sportmotorische Leistungsniveau den RAE nicht weiter verstärkt bzw. beeinflusst. Es scheint jedoch so, dass relativ jüngere AthletInnen nur dann bevorzugt ausgewählt werden, wenn sie ein weiter entwickeltes körperliches Leistungsniveau aufweisen. Der Einfluss der anthropometrischen Charakteristika auf den RAE wurde bei den TeilnehmerInnen der YOG 2012 und bei den SchülerInnen von Schulen mit skisportlichem Schwerpunkt, sowie bei einer Vergleichsgruppe von Nicht-AthletInnen gleichen Alters (10 bis 13 Jahre) untersucht. Es konnte ein signifikanter Einfluss von Größe und Gewicht auf den RAE nachgewiesen werden. Die im ersten Quartal geborenen SkirennläuferInnen waren signifikant größer und schwerer als die anderen SkirennläuferInnen. Die in den einzelnen Quartalen geborenen SchülerInnen der Vergleichsgruppe unterschieden sich nicht signifikant in Größe und Gewicht. Die in den ersten beiden Quartalen geborenen SkirennläuferInnen waren jedoch signifikant größer und schwerer als jene der Vergleichsgruppe. Diese Erkenntnisse unterstreichen die Bedeutung von höher ausgeprägten anthropometrischen Charakteristika im Alpinen Skirennlauf. Die anthropometrischen Charakteristika scheinen den Selektionsprozess im Alpinen Skirennlauf weiter zu beeinflussen, da die höheren Werte in Größe und Gewicht von im ersten Quartal geborenen SchülerInnen lediglich bei den SkirennläuferInnen vorhanden waren, jedoch nicht bei der Vergleichsgruppe von Nicht-SportlerInnen.
Bevor der Einfluss des biologischen Entwicklungsstandes auf den RAE untersucht werden konnte, musste eine einfach anwendbare, aber dennoch genaue Methode zur Erhebung dessen gefunden werden, welche in Zukunft dann im Talentselektionsprozess verwendet werden könnte, um spät entwickelte AthletInnen nicht zu diskriminieren. In diesem Zusammenhang wurden die geschlechtsspezifischen Vorhersagegleichungen von Mirwald und Mitarbeitern (2002) mit der Gold-Standard-Methode zur Erhebung des Skelettalters (Handwurzelknochenröntgen der linken Hand) verglichen. Es konnte aufgezeigt werden, dass die Prognosegleichungen zur Vorhersage des Alters, wann die Person den individuell größten Wachstumsschub erreichen wird (APHV), bei 10- bis 13-jährigen Kindern vergleichbare Ergebnisse wie das Handwurzelknochenröntgen zur Erhebung des Skelettalters liefert. Folglich kann diese einfache Methode in Zukunft im Talentselektionsprozess eingesetzt werden, um den biologischen Entwicklungsstand im Talententwicklungssystem zu berücksichtigen. Zusätzlich wurde aufbauend auf diesen Erkenntnissen mittels dieser Methode der Einfluss des biologischen Entwicklungsstandes auf den RAE bei SchülerInnen von Skischwerpunktschulen und gleichaltrigen SchülerInnen aus nicht-sportbetonten Schulen (10 bis 13 Jahre) untersucht. Es konnten keine signifikanten Unterschiede im APHV zwischen den in den einzelnen Quartalen geborenen SkirennläuferInnen nachgewiesen werden. Dies bedeutet, dass die AthletInnen in etwa dem gleichen Alter ihren individuell größten Wachstumsschub erreichen werden. Es scheint so, als ob relativ jüngere SkirennläuferInnen bessere Chancen haben, selektiert zu werden, wenn sie den gleichen oder einen weiter entwickelten biologischen Entwicklungsstand aufweisen. Überraschenderweise konnten keine signifikanten Unterschiede im APHV zwischen den SkirennläuferInnen und der Vergleichsgruppe aufgezeigt werden. Weiterführende Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass jene SkirennläuferInnen, die für nationale Finalrennen selektiert wurden, ihren individuell größten Wachstumsschub in einem signifikant früheren Alter erreichen werden, als die SchülerInnen der Skischwerpunktschulen.
Die Erkenntnisse der vorliegenden Dissertation deuten darauf hin, dass es wichtig ist, Strategien im Talentfördersystem im Alpinen Skirennlauf zu ändern, um den RAE langfristig minimieren zu können. Ein Wettkampfklassensystem, welches auf einem rotierenden Stichtag basiert, scheint ein interessanter Lösungsvorschlag zu sein. Außerdem sollten im Talentfördersystem zukünftig anthropometrische Charakteristika und der biologische Entwicklungsstand berücksichtigt werden, um zur mehr Fair